Richard Gerritsen von Yardi Systems stellt eine steile These auf. Hat die Immobilienwirtschaft wirklich schon genug Proptechs? Was steckt hinter der Aussage? Angst vor Konkurrenz? André Eberhard vom immobilienmanager sprach mit ihm.
Herr Gerritsen, Sie vertreten die Meinung, dass die Immobilienbranche nicht noch mehr Proptechs braucht. Wie kommen Sie zu dieser Meinung?
Richard Gerritsen: Lassen Sie es mich so formulieren. Um Innovationen zu schaffen und die Immobilienbranche zu verändern, werden nicht noch mehr Proptechs gebraucht. Es gibt bereits zahlreiche Technologien, die die Branche erheblich verändern können. Was wir in der Immobilienbranche brauchen, sind mehr Visionen für den Wandel. Dabei ist der technische Aspekt zur Erleichterung dieser Transformation nicht der begrenzende Faktor.
Ich nutze hierzu gerne ein Beispiel. Mein Vater ist 78 Jahre alt und hat ein iPhone 8 – und er ist sehr zufrieden damit. Er macht damit, was er immer mit einem Telefon gemacht hat. Er benutzt es nur zum Telefonieren. Sie können meinem Vater ein iPhone 15 geben, und er wird das machen, was er jetzt mit seinem iPhone 8 macht: telefonieren. So sehe ich die Immobilienbranche.
Meinem Vater fehlt sowohl die Vision als auch das Bedürfnis, sich zu verändern. Die Branche befindet sich jedoch in einer Situation, in der in vielen verschiedenen Assetklassen, wenn nicht sogar in der gesamten Branche, erhebliche Veränderungen erforderlich sind. Was man braucht, ist eine Vision für eine grundlegende Änderung der Art und Weise, wie Immobilien verwaltet werden. Die Immobilienbranche braucht kein neues iPhone.
Wenn die Immobilienbranche mit derzeit verfügbaren Technologien keine Vision hat, macht es keinen Sinn, weitere Proptechs zu entwickeln. Wir können den ganzen Tag über künstliche Intelligenz reden, aber wenn die Industrie jetzt schon mit den derzeit verfügbaren Daten Probleme hat – vielleicht weil sie nicht zur Verfügung stehen, nicht vollständig sind oder man der Datenqualität nicht trauen kann – macht es keinen Sinn, über “das iPhone 15” zu reden.
Sie haben gut reden. Ihr Unternehmen ist seit Jahrzehnten am Immobilienmarkt mit Softwarelösungen tätig. Haben Sie Angst vor Konkurrenz?
Richard Gerritsen: Ganz im Gegenteil! Wir begrüßen einen starken Wettbewerb, weil er uns dabei hilft, den Transformationsprozess unserer Kunden zu unterstützen. Noch wichtiger ist, dass er dazu beiträgt, das Bewusstsein in der Branche zu schärfen. Wie ich schon sagte, kann das iPhone 15 morgen auf den Markt kommen, aber wenn sich das Nutzerverhalten nicht ändert, gibt es keine echte Nachfrage nach neuer Technologie. Dann kann man noch so viele neue Innovationen einführen, es wird immer das Gleiche passieren: sie werden nicht eingesetzt, nicht genutzt und nicht verstanden.
Wird die Wirtschaftskrise nicht zwangsläufig den Markt bereinigen?
Richard Gerritsen: Es kommt darauf an, ob es sich um etwas kurzfristiges handelt, das sich in absehbarer Zeit normalisieren wird, oder ob es ein Katalysator für etwas anderes ist. Es ist normal geworden, dass die Menschen von zu Hause aus arbeiten. Wie wir wissen, dass Büroangestellte vor 2020 vier bis fünf Tage pro Woche im Büro waren. Das hat sich grundlegend verändert. Wenn wir also von Marktbereinigung oder -veränderung sprechen, dann ist das nicht unbedingt auf die Wirtschaftskrise zurückzuführen, aber es war ein Katalysator für eine Entwicklung, die bereits im Gange war.
Was wir sehen, ist ein größerer grundlegender Wandel in der Art und Weise, wie Büroräume genutzt werden und welche Mietverträge für gewerbliche Mieter interessant sind. Aus Untersuchungen geht hervor, dass etwa zehn bis 15 Prozent der Büroangestellten nicht unbedingt im Büro sein müssen, um ihre Arbeit zu erledigen, und etwa 35 Prozent im Büro sein müssen. Damit verbleiben etwa 50 Prozent, die nicht wirklich im Büro sein müssen, aber auch nicht ihre gesamte Arbeit von zu Hause aus erledigen können. Hier findet eine grundlegende Veränderung statt.
Büroangestellte benötigen nicht mehr so viel Platz, was dazu führt, dass Unternehmen ihre Mietverträge ändern. Warum sollten sie sich langfristig binden, wenn die Hälfte der Belegschaft mehrere Tage pro Woche von zu Hause aus arbeitet? Dies führt zu einer erheblichen Veränderung, wie und vor allem wann Menschen Büroräume nutzen. Die entsprechende Technologie ist eigentlich bereits verfügbar. Allerdings sehe ich noch nicht, dass sich die Vermieter in größerem Umfang auf diese neue Realität einstellen.
Welche Proptechs braucht es denn überhaupt?
Richard Gerritsen: Ich denke, dass solche Proptechs sehr wichtig werden, die sich auf die Betreuung von Mietern und deren Endnutzern konzentrieren. Mieter erwarten mehr von der Technologie, die sie nutzen, und von den Büros, in denen sie arbeiten. Sie haben sich daran gewöhnt, von zu Hause aus zu arbeiten, und wenn sie ins Büro gehen, dann wollen sie ein besseres Erlebnis.
Investmentmanager sind an den Endnutzern interessiert, aber es wird auch wichtig sein, zu verstehen, wie Büroräume genutzt werden und ob es sich lohnt, zu investieren – und wenn man investiert hat, wie es verwaltet werden muss. Wenn Sie zum Beispiel 10.000 oder 100.000 Quadratmeter Bürofläche besetzen wollen, suchen Sie dann einen Mieter, der einen 10-Jahres-Mietvertrag unterschreibt, oder einen, der zu einem flexiblen Arbeitsplatz oder sogar einer Kombination aus beidem wechselt?
Proptechs, die sich auf den Mieter konzentrieren und einen guten Service bieten, sind das, was die Branche braucht. Es geht darum, eine Lösung zu haben, die Automatisierung ermöglicht und bei täglichen Aufgaben unterstützt, damit Sie Ihren Mietern eine bessere Customer Journey bieten können.
Was die Branche braucht, ist ein One-Stop-Shop für die großen Themen der Branche. Wird es den jemals geben?
Richard Gerritsen: Ich bin mir nicht sicher, ob ein One-Stop-Shop für alle großen Themen realistisch ist. Yardi hat sich zum Ziel gesetzt, ein Ansprechpartner für alle Themen rund um Innovation und Technologie zu sein. In den letzten 15 Jahren haben wir uns von einem Anbieter von Immobilienverwaltungssoftware zu einem Cloud-Anbieter für Immobilieninvestoren und Asset-Manager entwickelt.
Teil unserer Transformation verlief so, dass unser Produkt- und Dienstleistungsportfolio nicht mehr von Mitarbeitern im Back Office, sondern im Front Office genutzt wird. Es ist nicht mehr das ultimative Ziel, die Arbeit im Back Office effizienter und effektiver zu gestalten. Back-Office-Daten und -funktionalitäten sind zu einem Mittel geworden, um unseren wichtigsten Kundenstamm zu bedienen – Investment- und Asset-Manager. Wir sind seit unserer Gründung Jahr für Jahr um 15 bis 25 Prozent gewachsen und haben ehrgeizige Ziele bezüglich weiteren Wachstums, aber dieser One-Stop-Shop wird vorerst nur für technologiebezogene Themen sein.
Veröffentlicht am 17.05.2023 I immobilienmanager.de I UNTERNEHMEN & KÖPFE “Es werden nicht noch mehr Proptechs gebraucht”